Weltweites Computing der Physiker

Wie man Rechenkapazitäten viel effizienter nutzt: Die GRID-Idee. Wissenschaftler um Prof. Dr. Peter Mättig arbeiten an einer Vision

Würde man die Datenmenge, die von Physikern am Fermilab (bei Chicago) innerhalb von zwei Jahren gesammelt wurden, auf CDs brennen und diese stapeln, ergäbe das die fünfmalige Höhe des Eifelturms. Die Daten wurden mit einem Nachweisgerät gesammelt, das an einem Supermikroskop in Chicago aufgestellt ist. An diesem Gerät arbeiten ca. 600 Wissenschaftler aus Asien, Nord - und Südamerika und Europa. Die Uni Wuppertal ist mit acht Physikern unter Leitung von Prof. Dr. Peter Mättig daran beteiligt. Untersucht wird die Welt der Elementarteilchen: Lassen sich die Grundkräfte der Natur ableiten, die in einem Tausendstel eines Atomkerns wirken? Ihr Verständnis lässt nachvollziehen, wie das Universum sich entwickelt hat.

Die gesammelten Daten bestehen aus ca. 500 Millionen einzelnen Aufnahmen, für die jeweils die elektrischen Signale aus einzelnen Teilen des Nachweisgeräts digital gespeichert werden. Um aus diesen Signalen darauf zu schließen, was in diesen kleinsten Bereichen passiert, müssen sie aufbereitet werden. Dies ist vergleichbar den Digitalkameras. Dort wird das Fotoobjekt in eine Folge von Nullen und Einsen übersetzt und gespeichert. Mit Rechenalgorithmen können aus dieser digitalen Information die Bilder abgeleitet werden. Nichts anderes wird mit den Daten gemacht, die in Chicago gesammelt wurden. Allerdings sind die Berechnungen sehr viel komplizierter als in Digitalkameras: Statt eines einzelnen Elektronikchips werden 1000 PCs für ein Jahr benötigt.

Die erforderliche Rechenleistung ist an einem Labor allein aber nicht vorhanden. Dieses Dilemma wurde gelöst, indem die Berechnungen an mehreren Orten auf der ganzen Welt durchgeführt wurden. Millionen von Daten wurden auf Rechenzentren in Frankreich, Kanada, den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland verteilt. So standen gleich mehrere tausend PCs zur Verfügung!

(v.l.n.r.) Dr. Daniel Wicke,
Dr. Torsten Harenberg,
Dr. Mihai-Octavian Dima .

Die Idee erscheint auf den ersten Blick ziemlich einfach. Aber das schnelle und effiziente Zusammenwirken völlig unterschiedlicher Laboratorien zu verwirklichen, war eine enorme Herausforderung: So mussten die Daten innerhalb kürzester Zeit von Chicago aus in viele Länder verteilt und sichergestellt werden, dass die Berechnungen an allen Instituten laufen. Eine permanente Kontrolle war zwingend, um die Garantie zu haben, dass wirklich alle Daten richtig berechnet wurden. Das gesamte Projekt wurde von dem Wuppertaler Physiker Dr. Daniel Wicke gemeinsam seinem Kollegen Dr. Mike Duisburg aus Chicago geleitet. Vor ein paar Tagen wurden die Berechnungen erfolgreich abgeschlossen. Jetzt werden die Daten benutzt, um die kleinsten zugänglichen Räume zu untersuchen.

Die Methoden, die Dr. Wicke und seine Kollegen entwickelt haben, sind beispielhaft für völlig neuartige Möglichkeiten effizienter Rechnernutzung. Weltweit arbeiten Wissenschaftler an einer Vision: In Zukunft sollen Rechenleistungen in der ganzen Welt abgerufen werden können. Was aufgebaut wird ist ein World Wide Computing Net, kurz mit dem englischen Wort für „Netz“ ausgedrückt, das "GRID". Weltweit verteiltes Rechnen, das den Zugriff auf riesige Rechenkapazitäten ermöglicht, kann eine Vielzahl von Problemen lösen. Sie ist von enormer Bedeutung z.B. bei der Entschlüsselung der DNA, bei Wetteranalysen, in der medizinischen Diagnose und bei kommerziellen Anwendungen wie der Datenverteilung in multinationalen Konzernen. Keines dieser Probleme benötigt eine dauernde gleich starke Belastung von Rechnern.

Die Anwendungen erfordern intensive Entwicklungsarbeit und Belastungstests. So wie das WWW ursprünglich aus der konkreten Anwendung der Elementarteilchenphysik am europäischen Kernforschungszentrum in Genf entstanden ist, so hat die Elementarteilchenphysik auch für die Entwicklung des GRIDs Pionierfunktion. Auch in Deutschland gewinnt die GRID-Idee an Bedeutung. Um diese Entwicklungen zu fördern, fand auf Initiative von Prof. Dr. Mättig (übrigens dem Nachfolger von Prof. Dr. Jürgen Drees) jetzt in Wuppertal ein Treffen von Vertretern von 15 Universitäten und Forschungsinstituten statt. Wichtigstes Ergebnis: Die Installation einer GRID-Umgebung in Deutschland. Zwischen den beteiligten Instituten wurde die gegenseiti-e Benutzung ihrer Rechner vereinbart.

Die Perspektive: Der Benutzer merkt gar nicht mehr, woher er seine Rechnerleistung bekommt, ob aus Wuppertal, Karlsruhe oder Chicago. Werden in den USA die PCs um drei oder vier Uhr morgens nicht genutzt, können die Physiker in Europa zu Beginn ihrer Arbeitszeit ihre Rechnungen dort ausführen - und umgekehrt. Weltweit arbeiten Wissenschaftler an dieser Vision. Physiker, Informatiker und Mathematiker der Bergischen Universität sind ganz vorn mit dabei.

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