Klimamessung? Geduld, Geduld!

Seit 25 Jahren wird die Veränderung der Höhenluft über Wuppertal gemessen:

 

Atmosphärenforschung aus luftiger Höhe (v.l.n.r.): Dr. Wolfgang Mett, Leiter des Fachstabs Raumfahrt und Verkehr beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Privatdozent Dr. Michael Bittner, Leiter des Weltdatenzentrums für Fernerkundung der Atmosphäre des DLR und sein Wuppertaler Doktorvater Prof. Dr. Dirk Offermann, hier in der vergangenen Woche am Schneefernerhaus auf der Zugspitze.

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In diesen Tagen feiert die Arbeitsgruppe Atmosphärenphysik der Bergischen Uni ein Jubiläum besonderer Art: Die Erfolgsstory der GRIPS-Mess-Reihe, die vor 25 Jahren begann. Im Sommer 1980 erfolgten erste Testmessungen, deren Häufigkeit sich dann stetig steigerte, bis nach kurzer Zeit in jeder Nacht gemessen wurde, sofern nicht Wolken den Blick in die obere Atmosphäre versperrten. So entstand die weltweit längste und dichteste Mess-Reihe ihrer Art.

Wovon ist die Rede? GRIPS ist ein relativ kleines und vergleichsweise billiges Infrarot-Messgerät, mit dem man die Temperatur in der oberen Atmosphäre (87 km) messen kann. Dazu misst man die nächtliche Lichtemission der Hydroxyl-Moleküle (OH) in dieser Höhe, wobei ein mit flüssigem Stickstoff gekühlter Detektor in einem Gitterspektrometer benutzt wird. Diese Messungen waren vor 25 Jahren als Ergänzung zu den größeren und sehr viel aufwendigeren Infrarot-Messungen gedacht, die von den Wuppertaler Weltraumforschern mit Hilfe von hochfliegenden Ballons, Raketen und Satelliten (am berühmtesten: CRISTA auf dem Space-Shuttle) durchgeführt wurden. Dementsprechend wurde das GRIPS-Gerät (oder später die GRIPS-Geräte) zu den Startplätzen mitgenommen, sodass dadurch Messdaten an sehr vielen verschiedenen Orten gewonnen werden konnten, teilweise auch  in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und dem Deutschen Wetterdienst (DWD).

GRIPS 3 auf der Zugspitze: Dr. Norbert Binder (links) vom Bundesforschungsministerium und Prof. Dr. Siegfried Specht vom bayerischen Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz.

Bis heute gibt es drei Messstationen in Norwegen (Andoya, Lista, Oslo), zwei in Schweden (Stockholm, Kiruna), eine in Irland (Belfast), eine in Frankreich (Biscarosse),  eine in den USA (Wallops Island) vier in Deutschland (Wuppertal, Zugspitze, Hohenpeißenberg, Kühlungsborn) sowie im Nord- und Südatlantik auf dem deutschen Forschungsschiff "Polarstern".

Die Messungen an diesen vielen Stationen ergaben im wesentlichen ähnliche Ergebnisse: Starke Temperatur-Oszillationen mit sehr unterschiedlichen Zeitskalen (Dauer). Die größte Variation ist hierbei der Jahresgang mit einem Hub von etwa 50°C. Dies ist der Unterschied zwischen Sommer- und Wintertemperaturen, wobei aus komplizierten Gründen es in dieser Höhe im Winter wärmer als im Sommer ist. Dieser Jahreshub ist bei höheren geografischen Breiten größer als bei niedrigeren Breiten.

Die Ergebnisse waren z.T. nicht neu. Deshalb verschob sich das Interesse nach einiger Zeit zu der Fragestellung, ob sich an den Messdaten (z.B. der mittleren Jahrestemperatur oder dem Jahreshub) langfristig etwas ändert. Diese Frage war motiviert durch die Klima-Beobachtungen in der unteren Atmosphäre, wo ein langsamer Anstieg der Temperaturen diskutiert wurde und wird. Dieser Anstieg schien eine Entsprechung zu finden in den Temperaturen der mittleren Atmosphäre (30–50 km), wo ein deutlicher Temperatur-Rückgang beobachtet wurde. Theoretische Berechnungen sowie einige Messungen sagten voraus, dass eine solche Abnahme auch in den GRIPS-Messungen zu sehen sein sollten, und zwar deutlicher als bei den niedrigen Höhen.

Das Messkonzept wurde deshalb auf Langzeitmessungen umgestellt. Das bedeutete den Bau  eines zweiten GRIPS-Geräts und eine Umorganisation der Messungen, so dass ständig ein Gerät in Wuppertal im Einsatz war und das zweite für den Fall in Reserve stand, dass das erste einen Ausfall haben sollte. Dies Konzept erwies sich als sehr erfolgreich und führte zu der erwähnten Datenreihe hoher Datendichte- und Gleichmäßigkeit. Prof. Offermann: "Bei der Interpretation einer Langzeit-Messreihe sind die Daten-Dichte und -Homogenität fast noch wichtiger als die Länge der Reihe."

Es gibt gegenwärtig weltweit etwa 20 Messstationen, die Temperaturmessungen wie GRIPS oder ähnliche durchführen. Deren Ergebnisse wurden kürzlich in einem Übersichtsartikel zusammengestellt und verglichen. Diese Arbeit wurde soeben mit einem Preis ausgezeichnet, dem "Norbert Gerbrier-Mumm International Award 2005" der World Meteorological Organization (WMO). Statement zu den Wuppertaler Messungen: "The longest data set is that of the D. Offermann group...Extending over 21 years, it is both homogeneous and calibrated on an annual basis...".

Was haben diese Langzeitmessungen nun erbracht? Offermann: "Nichts!!!" Zur Überraschung der Wuppertaler Physiker zeigen die Messdaten nämlich nicht die erwartete Abnahme der Temperatur in der oberen Atmosphäre. Dieses Ergebnis war zunächst international umstritten, hat sich aber inzwischen durchgesetzt und wurde von anderen Messstationen bestätigt. Eine genauere Analyse der Daten zeigte allerdings etwas Überraschendes: Es gibt in dieser Höhe sehr wohl Trends, also Langzeitänderungen, aber nicht auf Jahresbasis, sondern auf Monatsbasis. Wenn man z.B. die April-Werte aller Jahre miteinander vergleicht, ergibt sich ein deutlicher positiver Trend. Im Gegensatz dazu zeigt der Februar zwar auch einen Trend, aber er ist negativ. Auf diese Weise hat jeder Monat sein individuelles Langzeit-Verhalten. Wenn man allerdings den Mittelwert aller Monate bildet, kommt (ungefähr) Null heraus. Dies überraschende Ergebnis kann bisher von anderen Stationen leider  nicht überprüft werden, weil deren Messreihen nicht lang genug oder nicht homogen genug sind.

Im Zusammenhang mit diesen Analysen ergab sich dann doch eine wichtige Langzeitänderung in der oberen Atmosphäre: Die Länge des Sommers nimmt seit (mindestens) 16 Jahren kontinuierlich zu. Die Wuppertaler Physiker konnten zeigen, dass eine entsprechende Änderung der Sommerlänge auch in der mittleren Atmosphäre vorhanden ist, aber in umgekehrter Richtung (Abnahme). Beide Veränderungen hängen mit langfristigen Änderungen in der unteren Atmosphäre, also mit Klimaschwankungen zusammen. Dies wird gegenwärtig weiter untersucht.

In den 25 GRIPS-Messjahren wurden immer die gleichen Spektrometer und Detektoren, d.h. die gleiche Hardware verwendet. Offermann: "Das ist für die Glaubhaftigkeit von Langzeitdaten sehr wichtig. Andere Stationen haben an dieser Stelle Fehler gemacht. Diese sind menschlich verständlich, denn wer würde gerne heute noch in seinem Auto Baujahr 1980 herumfahren?"

In Wuppertal wurde jedoch der Versuchung zur Modernisierung widerstanden. Was  an den GRIPS-Geräten aber nicht konstant geblieben ist, ist die Datenaufzeichnung. Diese wurde, dem Fortschritt der Computertechnik entsprechend, laufend verbessert. Dadurch wird in den Messablauf nicht eingegriffen. Die Datenmenge, d. h. die für Analysen verfügbare Information, wurde aber enorm vergrößert. So wurden am Anfang der Serie die Daten mit einem Papierschreiber aufgezeichnet, wodurch nur ein Temperaturwert (Mittelwert) pro Nacht gespeichert werden konnte. Dem gegenüber wird gegenwärtig ein Temperaturwert pro Minute gewonnen, und eine weitere Steigerung auf das Vierfache ist für die nahe Zukunft geplant. Mit diesen Datenrate lassen sich sehr schnelle Veränderungen in der Atmosphäre ("Schwerewellen") feststellen. Schwerewellen sind gegenwärtig eins der großen Rätsel in der gesamten Atmosphäre.

Inzwischen wurde das Langzeit-Messkonzept modifiziert: Eines der beiden GRIPS-Geräte wurde im Observatorium Hohenpeißenberg des Deutschen Wetterdienstes (DWD) aufgestellt und seit 2003 dort in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR und dem DWD betrieben. Der räumliche Abstand zwischen Wuppertal und Hohenpeißenberg ist klein genug, damit die Messungen an den beiden Stellen wechselseitig repräsentativ sind, d.h. bei Ausfall des einen Geräts können die Daten des anderen als Ersatz benutzt werden. Der Abstand ist andererseits groß genug, dass die Wetterlagen (die Wolkenbedeckung) an beiden Orten unterschiedlich sind. Während in Wuppertal allein in etwa 60 Prozent der Nächte hinreichend klarer Himmel ist, der Rest der Zeit also für die Messungen verloren geht, ist bei Kombination der beiden Messorte in etwa 90% der Nächte an dem einen oder dem anderen Ort die Messung möglich. Es wird also eine erhebliche Verbesserung der Messausbeute erreicht.

Das Schneefernerhaus auf der Zugspitze.

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Schließlich wurde soeben – im Auftrag des DLR – ein drittes GRIPS-Gerät gebaut. GRIPS 3 wurde durch das DLR in der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus auf der Zugspitze aufgestellt und in Betrieb genommen. Es soll der Validierung von Satellitenmessungen dienen. Darüber hinaus ergeben sich vielfältige Anwendungen, wie bei den anderen GRIPS-Geräten auch. Offermann: "Eine sehr interessante Besonderheit ist die unmittelbare Nähe der Alpenkämme, die möglicherweise  starke Quellen von Schwerewellen sind."

Eine "kick off"-Veranstaltung  für  dieses  Messprogramm des DLR fand letzte Woche auf der Zugspitze im Beisein von Vertretern der bayerischen Staatsregierung, der Stadt Garmisch-Partenkirchen, der ESA, des DLR, des DWD,  sowie weiterer Vertreter der Wissenschaft statt.

Der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeiten mit den GRIPS-Geräten liegt inzwischen weniger im Experimentellen als vielmehr bei der Interpretation der Daten und ihres Beitrags zum Verständnis des ziemlich komplexen Verhaltens der Atmosphäre. Hierbei sind im Lauf der Jahre fünf Diplomarbeiten, zwei Doktorarbeiten und 30 Veröffentlichungen in internationalen Fachzeitschriften entstanden.

In allerletzter Zeit ist nun in den Daten etwas Aufregendes zu sehen, berichtet Prof. Offermann: "Seit 2001 nimmt der Hub des Jahresgangs ab. Er ist um mehr als 13°C kleiner geworden, was eine deutlich und glaubhafte Abweichung von den Daten der vielen Jahre davor ist." Diese Abnahme werde von zwei Stationen bestätigt (Moskau, Hohenpeißenberg) und finde sich auch in Halbjahresdaten der Stationen in Kanada und der Antarktis. Der Weltraumforscher: "Gleichzeitig mit dieser Abnahme zeigen die Wuppertaler Daten eine Zunahme der Aktivität der Schwerewellen und eine Abnahme der Planetaren Wellen. Die Ursachen dieser Veränderungen sind vorläufig unklar, nach einem möglichen Zusammenhang mit Klimaänderungen in der unteren Atmosphäre wird intensiv gesucht." Eins aber sei klar: Nur auf dem Hintergrund der Wuppertaler Langzeitmessungen hätten die Veränderungen überhaupt entdeckt werden können. Ihre Weiterentwicklung in Zukunft wird mit Spannung verfolgt.

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